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Passionsoratorien als spirituelle und persönliche Bereicherung

Bildquelle: gettyimages, antonioguillem, furtseff, ryanjlanePassionsmusikDas offene, staunende Hören eines Passionsoratoriums kann zu einer mystischen Erfahrung führen

Ein Konzert kann zur spirituellen Erfahrung werden. Gerade Passionsoratorien haben die Kraft, Menschen in ihrem Innersten zu bewegen. Passionen sind Musikstücke, welche die biblischen Erzählungen über die letzten Tage Jesu zum Klingen bringen. Michael Graf Münster nähert sich ihrem Geheimnis: „Die emotionale Wirkung der Töne verschmilzt mit der emotionalen Wirkung der Geschichte. Man spürt, dass es in der Passion Jesu um ein Menschheitsdrama geht. Und viele Menschen, die in Chören singen, leben ihre persönliche Spiritualität in solcher Musik.“ Als künstlerischer Leiter an St. Katharinen in Frankfurt am Main hat er bereits Werke wie die Johannespassion von Heinrich Schütz dirigiert.

Musik verstärkt Glaubensaussagen

Christa Kirchbaum, Landeskirchenmusikdirektorin in der EKHN, teilt seine Empfindungen und erklärt: „Ob die Worte aus der Bibel gesprochen oder gesungen werden, macht einen großen Unterschied: Während Sprache stärker in der linken Gehirnhälfte verarbeitet wird, spricht Musik intensiver die rechte Hälfe an.“ Wenn sich Text und Musik verbinden, wirke ein Werk vielschichtiger im Menschen. Das bringen die rund 1.500 Jahre alten Worte von Augustinus prägnant auf den Punkt: „Wer singt, betet doppelt!“

Jesus erlebt Ungerechtigkeit und Tod

Zudem habe Musik die Kraft, dramatische Ereignisse besonders intensiv auszudrücken. Die biblischen Originale zeigen Verzweiflung, Schmerz und menschliche Abgründe: Jesus wurde gefangen genommen, weil er von Judas, einem seiner engen Vertrauen verraten wurde. Die Passionswerke schildern schließlich das Verhör durch Pontius Pilatus, die Verurteilung des unschuldigen Jesus sowie seine Kreuzigung und schließlich seinen Tod.

Gott an der Seite der Leidenden

Auch Pfarrer und Musiker Eugen Eckert kann nachvollziehen, warum die vertonte biblische Geschichte auch jetzt noch viele Menschen berührt: „Gerade heute gehört das Leiden zu den Erfahrungen in unserer Gesellschaft. Zum Beispiel sind viele junge Leute während der Corona-Zeit in ihren Zimmern vereinsamt. Wenn sie dann in den Passions-Oratorien erleben, was Jesus als Sohn Gottes ertragen hat, können sie spüren: Gott steht auch in harten Zeiten an ihrer Seite.“ Und so begegnet auch Graf Münster im gekreuzigten Jesus der „unbesiegbaren Liebe in Person.“

Von der Glaubenserfahrung zum Handeln

Die in Tönen und Texten vermittelten Gefühle und Ereignisse in den Passionswerken gehen vielen Zuhörerinnen und Zuhörern unter die Haut. „Die Geschichte bewirkt etwas in ihnen. Mit dem Staunen über das Gesehene und Gehörte verbinden sie sich mit der Musik, mit der Leidensgeschichte Jesu. Diese offene Haltung kann zu einer mystischen Erfahrung führen“, erklärt Eugen Eckert. Die Theologin Dorothee Sölle habe eine Idee davon vermittelt, dass sich aus unmittelbarer, mystischer Glaubenserfahrung ein Gefühl für Solidarität und Mitmenschlichkeit entwickeln könne, so Eckert.

Deshalb könne ein Passionsoratorium auch zur Frage nach Zivilcourage führen. Die Auseinandersetzung mit den überlieferten Leidenserfahrungen hat manche Menschen darin bestärkt, sich für Frieden und Gerechtigkeit einzusetzen, beispielsweise bei der Entstehung und Umsetzung der Menschenrechte. Die Passionsgeschichte wirke sich bis heute auf Kultur und Gesellschaft aus.

Mut zur Gretchenfrage der Passion: Wie halte ich es selbst mit Lieblosigkeit?

Pfarrer Eckert hat sich intensiv mit der Passionsgeschichte beschäftigt, da er für das zeitgenössische Oratorium `Christi Kreuz vor Augen´ das Libretto auf der Grundlage des Matthäus-Evangeliums geschrieben hat. Dazu gehört eine intensive exegetische Vorarbeit und eine genauso intensive poetische Gestaltung. Pfarrer Eckert hat immer wieder erlebt, wie sehr die Passionsgeschichte in Zusammenhang mit dem eigenen Leben stehe. Sie rege auch dazu an, sich den eigenen lieblosen und gewaltsamen Anteilen zu stellen: „Die Passionserzählung kann jeden einzelnen erschütternd fragen: Hätte ich selbst Jesus verraten? Schaue ich heute weg, wenn Menschen benachteiligt werden? Bin ich bereit zu handeln oder auf etwas zu verzichten, wenn es weniger Ungerechtigkeit zur Folge hätte?“ Mit diesen Aspekten hat sich auch Michael Graf Münster auseinandergesetzt: „Seit Jahrhunderten haben Zuhörerinnen und Zuhörer erlebt, dass die Lieblosigkeit und Gewalt, die Jesus den Tod brachte, in Teilen auch in ihnen selbst wohnt.“ Laut Eugen Eckert ermutige ein Passions-Werk die Zuhörenden, sich mit eigenen, schwierigen Haltung zu konfrontieren – und sich dabei gleichzeitig von Gott angenommen zu fühlen.

Ausblick

Passionswerke konzentrieren sich auf das Leid und den Tod Jesu. Dennoch wissen die Zuhörerinnen und Zuhörer, dass im Anschluss Ostern mit der Erzählung über die Auferstehung Jesu folgt – auch wenn das österliche Motiv in den Passionswerken nicht direkt aufgegriffen wird. Einige Werke wie die zeitgenössische Matthäuspassion greifen dennoch die hoffnungsvolle Idee auf, dass der Tod nicht das letzte Wort behält, wie der letzte Choral zeigt: „Christi Kreuz vor Augen steh´ ich überrascht, Licht blüht auf und Leben.“  

Passionsoratorien – besondere musikalische Schätze: Hintergrund und Geschichte

mehr über die Passionszeit

[Rita Haering]

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Gut:
Das heißt für mich -
frei und befreit von allem,
was ich aus Angst und Ärger tief
in mir vergraben habe.

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