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Lothar de Maizière sprach zum Reformationstag über die Rolle der Kirche bei der Wiedervereinigung Deutschlands Kirchenpräsident Jung: Befreiende Kraft des Glaubens hat bei der friedlichen Revolution eine Rolle gespielt

„Wende war keine protestantische Revolution“

Wiesbaden 31. Oktober 2009. Der Festakt zum Reformationstag der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) hat in diesem Jahr den 20. Jahrestag des Mauerfalls zum Thema gemacht. Die Festansprache hielt Lothar de Maizière über „Die Rolle der Evangelischen Kirche in der DDR im Prozess bis zur friedlichen Revolution 1989.“ De Maizière war der erste und einzige frei gewählte Ministerpräsident der DDR und hatte dort auch in der Evangelischen Kirche maßgebliche Positionen inne.

Von den Ereignissen überrollt

„Es war eine Zeit der Plötzlichkeit.“, betonte de Maizière. Niemand ahnte, wie schnell alles gehen würde und was dabei herauskommen würde. Durch die enorme Geschwindigkeit des Vereinigungsprozesses seien auch Fehler gemacht worden. Allerdings seien die Erwartungen auch zu hoch gewesen: „Die Mauer fällt – das ist ein Wunder. Jetzt muss es mit den Wundern weitergehen.“ Nötig wäre gewesen, länger über manches nachzudenken, insbesondere im Bereich der Wirtschaft. Doch das hätten die Ereignisse überrollt. Täglich hätten 2000-3000 Menschen die DDR verlassen, erinnerte de Maizière.

Kirche bot die einzigen Übungsfelder der Demokratie

De Maizière verteidigte die Haltung der Evangelischen Kirche in der DDR, die unter dem Motto „Kirche im Sozialismus“ einen kritischen Dialog mit dem Staat zu führen versuchte. Dieses Motto sei keine Anbiederung an den Sozialismus gewesen sondern habe die Absicht beschrieben, den Glauben „an dem Ort zu leben, an den uns Gott gestellt hat.“ Man könne mit seinem Leben nicht in einem „beständigen Abseits von der Gesellschaft um einen herum“ verbringen, das mache krank. Diesen Grundkonflikt habe die Kirche zum Beispiel nicht auf dem Rücken der Kinder austragen wollen und deshalb schließlich eingewilligt, die Konfirmation zusätzlich zur Jugendweihe zuzulassen. Zugleich habe die Kirche systemkritische Impulse gesetzt, etwa in Verfahren gegen Kriegsdienstverweigerer, wo sie durch kirchliche Repräsentanten die Öffentlichkeit hergestellt habe. Die Kirche habe sich von Anfang an kritisch an Diskussionen über die Verfassung beteiligt und damit das Feld nicht alleine der Partei überlassen. Kirchliche Gremien seien in der DDR die einzigen „Übungsfelder der Demokratie“ gewesen, denn in den anderen Bereichen der Gesellschaft habe es keine offenen Debatten gegeben. Die Kirche habe über vielfältige Kontakte in den Westen verfügt – auch zu den Medien – und habe sie zur Weitergabe von Informationen auch genutzt.

Die Revolution kam zur Kirche – nicht die Kirche zur Revolution

Einen differenzierten Blick warf de Maizière auf die Rolle der Kirchen in der Wende. Die Kirche habe sich nicht nach dem Revolutionspotenzial gedrängt sondern es sei zu ihr gekommen. Die Kirche habe den Reformbewegten einen „Schutzraum“ geboten, den sich die Kirchen über die Jahrezehnte der DDR-Geschichte erarbeitet und erhalten hätten. Zugleich habe sie die Bewegung auch beeinflusst. Ihre zentrale Forderung „ Keine Gewalt!“ sei auch übernommen worden. De Maizière fasst die kirchliche Haltung so zusammen: „Wir stehen vor euch aber nicht in allen Punkten hinter euch.“ Die Wende als „protestantische Revolution“ zu feiern sei also nicht ganz zutreffend.
Das erkläre auch, warum weite Teile der Bevölkerung nach der Wende nicht in die Kirche eingetreten seien. Im Gegenteil, es habe Austritte gegeben, da der Schutzraum nun nicht mehr gebraucht worden sei und die Kirchensteuer viele abgeschreckt hätte. Offenbar sei das Interesse am Glauben bei vielen weder vor noch nach der Wende besonders groß gewesen: „Vom Gottesdienstbesuch hielt viele die Trägheit ab nicht die SED.“

Noch etwas großes vor

Dennoch sei es beeindruckend, wie viele Kirchen in den vergangen 20 Jahren vor dem Verfall bewahrt und renoviert worden seien. Zudem seien in dieser Zeit mehr Glocken gegossen worden als in den 100 Jahren davor. De Maizière schloss mit einem Zitat des ehemaligen Magdeburger Bischofs Axel Noack: „Wenn der Herr uns so viele Glocken gießen lässt, dann wird er wohl auch noch etwas großes mit uns vorhaben.“

Worte für verwundete Seelen

Kirchenpräsident Dr. Volker Jung hatte im Festgottesdienst zuvor einen Kerngedanken der Reformation ins Zentrum gerückt. In seiner Predigt legte er die Seligpreisungen, den ersten Abschnitt der Bergpredigt Jesu aus. Jesus habe seine berühmte Bergpredigt nicht mit Forderungen oder Regeln begonnen sondern allen Menschen Gottes bedingungslose Liebe zugesprochen: „Selig seid ihr.“ Das sei, so predigte Jung, „keine selbstverständliche Botschaft, schon gar keine Botschaft, die wir so einfach glauben können. Es gibt so vieles, was uns genau das ausredet. Es sind die harten Erfahrungen des Lebens – mancher nicht erfüllte Traum, mancher schwere Abschied, manche Ungerechtigkeit – im eigenen Leben und beim Blick auf das Geschehen in dieser Welt.“ Aber genau in diese Erfahrungen hinein habe Jesus seine Worte gesprochen. Es seien „Worte für verwundete Seelen, die damit ringen, dass diese Welt oft so anders ist – so hart, so ungerecht und friedlos!“ Gottes Zuspruch fasste Jun so zusammen: „Ihr seid nicht verraten und verkauft an die Mächte dieser Welt, die euch zu zermalmen drohen! Selbst wenn andere verächtlich auf euch schauen oder sich kopfschüttelnd von euch abwenden, lasst euch gesagt sein: Ihr seid etwas wert, Gott sieht euch mit anderen Augen an - mit den Augen der Liebe!“
Von diesem Zuspruch lebe der Glaube und davon lebe die Kirche. Dieser Zuspruch führe zum Kerngedanken der Rechtfertigungslehre, die Martin Luther zur Reformation der Kirche antrieb. Luther habe an sich selbst erfahren, „wie ihn die Kraft aus Gottes Wort freigemacht hat.“ Jung zeigte sich überzeugt davon, dass „diese befeiende Kraft der Glaubensworte bei der friedlichen Revolution in der DDR vor 20 Jahren ein Rolle gespielt hat“.

Präses Schäfer erinnert an Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre

In einem Grußwort erinnerte der Präses der Kirchensynode der EKHN Prof. Dr. Karl Heinrich Schäfer an die „Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre“, die auf den Tag vor zehn Jahren in Augsburg vom Lutherischen Weltbund und der Römisch-katholischen Kirche unterzeichnet worden war. Beide erklärten darin, dass die unterschiedlichen Auffassungen über die zentrale theologische Frage der Reformation – die Rechtfertigungslehre – heute keine kirchentrennende Bedeutung mehr habe. Schäfer zitierte Erzbischof Zollitsch mit den Worten „Wer nach Augsburg behauptet, die Unterschiede in der Rechtfertigungslehre hätten kirchentrennenden Charakter, vertritt damit seine Privatmeinung und kann sich dafür nicht auf die kirchliche Lehre berufen.“ Die Ökumene sei heute „Teil des evangelischen, aber auch des katholischen Selbstverständnisses“.

Gut:
Das heißt für mich -
frei und befreit von allem,
was ich aus Angst und Ärger tief
in mir vergraben habe.

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