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Albert Schweitzers Ehrfurcht vor Leben: Das Tier und wir

ErikdeGraaf/istockphoto.comKuh mit KalbEhrfurcht vor dem Leben: Wie lässt sich diese Haltung im realen Leben umsetzen?

„The greatest man in the world“, den größten Menschen der Welt, nannte ihn 1947 das amerikanische „Life Magazine“. Albert Schweitzer war Theologe, Philosoph, Musiker, Mediziner und Entwicklungshelfer. Sein Krankenhaus im westafrikanischen Lambarene ist weltberühmt. Am 4. September 1965 ist er gestorben. Sein Gebot von der Ehrfurcht vor dem Leben wirkt bis heute.

Ein Sonntagmorgen auf dem Dorf. Zwei Jungs basteln Steinschleudern. „Komm, wir schießen Vögel im Weinberg“, sagt der eine zum anderen. Der schluckt. Doch sein Freund stürmt los. Soll er sich als Angsthase auslachen lassen? Er rennt hinterher. Mit Gewissensbissen geht der Bub neben seinem Kameraden in Habachtstellung. Er spannt seine Schleuder. Gleich wird ein Vogel getroffen zu Boden fallen. Da läuten die Glocken der Dorfkirche zum Gottesdienst. Der Junge springt auf und verscheucht die Vögel. „Die Glocken haben mir das Gebot ins Herz geläutet: 'Du sollst nicht töten.' Neben diesem Gebot verblassen alle anderen“, wird er als alter Mann sagen.

Für alle Lebewesen gebetet

Der Junge war Albert Schweitzer. Typisch sind die Bilder, die ihn in seinem Hospital in Westafrika zeigen: Buschiger Schnauzbart, Tropenhelm, helles Hemd und schwarze Fliege. Geboren 1875 als Sohn eines evangelischen Pfarrers wuchs er in Günsbach auf, einem Dorf im Elsass. Beim Abendgebet hat sich der kleine Albert stets gefragt: „Warum soll ich nur für Menschen beten?“ Wenn die Mutter das Licht gelöscht hatte, sprach er noch ein Zusatzgebet: „Lieber Gott, schütze und segne alles, was Odem hat. Bewahre es vor allem Übel und lass es ruhig schlafen.“

Medizinstudium mit 30 Jahren

Aus dem Kind wurde ein Gelehrter und Musiker. Mit 21 fasste er einen Beschluss: Bis zu seinem 30. Geburtstag geht er seiner Begabung als Theologe und Musiker nach. Ab dann wollte er den „Weg des unmittelbaren Dienens“ einschlagen. Die Gelegenheit dazu flatterte ihm 1904 auf den Schreibtisch – ein Heft der Pariser Missionsgesellschaft. Es fehle an Menschen, die im damaligen Französisch-Äquatorial-Afrika helfen. Das verstand Schweitzer als seine Berufung. Die Missionsgesellschaft wollte den Theologen zunächst nicht. Er hatte ihr mit seinem Buch über die Leben-Jesu-Forschung zu viel Aufruhr verursacht. Da studierte Schweitzer Medizin. Als Arzt konnten sie ihn nicht ablehnen. Am Karfreitag 1913 stieg er mit seiner Frau Helene in Günsbach in den Zug. Im Dschungel am Ogowe-Fluss gründeten sie das Krankenhaus Lambarene. Ein Hühnerstall war das erste Behandlungszimmer. Nach und nach erweiterten Schweitzer und seine Frau das Hospital zu einem Dorf mit eigenen Häusern für Leprakranke. Das Geld dafür sammelte Schweitzer mit Orgelkonzerten, für die er nach Europa und in die USA reiste.

Entsetzen über das Leid des Weltkrieges

„Ehrfurcht vor dem Leben“ war sein Credo. Es war die Zeit des Ersten Weltkriegs. Schweitzer war auf dem Ogowe-Fluss unterwegs mit seiner Frau und dem Gabuner Mitarbeiter Joseph. Er erzählte, dass in einer Schlacht des Weltkriegs in Europa 30 000 Menschen getötet worden waren. Joseph konnte das nicht glauben: Wie können Menschen sich so viel Leid antun?

Ehrfurcht vor dem Leben

Schweitzer schaute auf die Landschaft am Fluss. Er sah das Zusammenspiel der Natur – Schmetterlinge, Nilpferde, Moskitos. „Wie im Bilderbuch“, dachte er. Und doch fressen sie und werden gefressen. Leben geschieht immer auf Kosten von anderen. Aber welche Kreatur nimmt sich mehr, als sie zum Leben braucht? Nur der Mensch. Was kann ihn davon abhalten? Und da waren sie, die vier Worte, die Schweitzer ein Leben lang begleiteten: Ehrfurcht vor dem Leben.

Mit allen Geschöpfen verbunden

In einer Rede in der Frankfurter Paulskirche 1951 sagte er: „Es braucht keine andere Lebens- und Weltkenntnis mehr als die, dass alles, was ist, Leben ist. Und dass wir allem, was ist, als Leben, als einem höchsten unersetzlichen Wert, Ehrfurcht entgegenbringen müssen.“ Berühmt ist seine Formulierung: „Ich bin Leben, das leben will, inmitten von Leben, das leben will.“ Das verbindet für Schweitzer alle Geschöpfe. In dieser Hinsicht gibt es für ihn keinen Unterschied zwischen Mensch und Tier, kein Einteilen in nützlich oder lästig, schön oder ekelig. „Ehrfurcht vor dem Leben schließt eine Unterscheidung zwischen höherwertigem und minderwertigem Leben aus“, so seine Überzeugung.

Politische Konsequenzen der „Ehrfucht vor dem Leben“: Protest gegen Atomwaffen

Ein Kollege, ebenfalls Mediziner, erzählte, dass man in Lambarene auf keine Ameisenstraße treten durfte. Von Gift gegen Ratten wollte Schweitzer nichts wissen. Man solle lieber Schutzzäune bauen. Morgens fütterte er seinen Pelikan Parzifal. Eine Katze saß mit an seinem Schreibtisch. Zur guten Nacht bekam ein Antilopen-Paar noch ein Leckerli. Bei Schweitzer war das nicht nur kuschelige Tierliebhaberei. Es entsprach seiner Lebenshaltung. Ehrfurcht vor dem Leben hat politische Konsequenzen. „Die Bombe“ war ein beherrschendes Thema nach dem Zweiten Weltkrieg. Schweitzer schloss sich dem Protest seines Freundes Albert Einstein gegen Atomwaffen an. 1952 erhielt er den Friedensnobelpreis. In seiner Dankesrede warnte er vor der nuklearen Gefahr: „Nun erst tut sich das Grauenvolle unserer Existenz ganz vor uns auf (…) Was uns aber eigentlich zu Bewusstsein hätte kommen sollen (…), ist dies, dass wir als Übermenschen Unmenschen geworden sind.“

Massentierhaltung: Welche Rolle spielt jeder Einzelne?

Ehrfurcht vor dem Leben. Wie sieht sie heute aus? Zwiespältig. Der Hund darf im Bett schlafen, bekommt Hüftoperationen und Rollator. Immer mehr Menschen wollen sich neben ihrer Katze beerdigen lassen. Doch die meisten Tiere, die der Mensch sich hält, sind unsichtbar. Sie verschwinden in den Betrieben für Hühner, Schweine oder Kühe und dann im Schlachthof. Tierethiker nennen es moralisch schizophren, wie der Mensch Tiere liebt und sie gleichzeitig zum Ramschprodukt macht. Der Fingerzeig auf die Massentierhaltung hilft wenig. Jeder Einzelne ist Teil des Kreislaufs.

Artgerechtes Leben für Tiere mit dem eigenen Konsumverhalten ermöglichen

„Natürlich können Sie Vegetarier oder Veganer werden. Aber Leben ist immer Leben auf Kosten von anderen“, sagt Maren Heincke. Die Agrarwissenschaftlerin ist Referentin für Landwirtschaft der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau. Für Albert Schweitzer galt das Gebot: „Du sollst nicht quälen.“ Für Heincke beginnt das bei der Tierhaltung. Sie muss sich nach den Grundbedürfnissen des Schweins, der Kuh oder des Huhns richten.
Heincke hat beim Kalben einer Kuh genauso geholfen wie beim Schlachten. „Gut schlachten heißt gezielt, schmerzfrei, angstfrei schlachten“, sagt sie. Liebhabern von Schnitzel & Co empfiehlt sie: „Wir essen zwei- bis dreimal mehr Fleisch, als gut für uns ist. Es geht nicht um Verzicht, sondern um die gesunde Menge.“ Weniger Fleisch – gut für Mensch und Tier. Ein erster Schritt zur Ehrfurcht vor dem Leben.

Artikel: Albert Schweitzer: Moralische Instanz im Dschungel

Pfarrer Martin Vorländer

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Gut:
Das heißt für mich -
frei und befreit von allem,
was ich aus Angst und Ärger tief
in mir vergraben habe.

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