Herzlich Willkommen! Entdecken Sie, welche Angebote der EKHN zu Ihnen passen. Über das Kontaktformular und auf facebook sind wir offen für Ihre Anregungen.

Menümobile menu

Das Recht, ein anderer zu werden

SolStock/istockphoto.comÜber Probleme sprechenInteressiertes und einfühlsames Nachfragen hilft, sich zu öffnen und Probleme anzusprechen

Am Anfang kommt der Schreck: »So bin ich. Aber so will ich doch gar nicht sein!« Man kann diese Selbsterkenntnis schnell unter den Teppich kehren. Oder sich der Wahrheit stellen und dabei viel gewinnen.

Eine Frau ist schon lange mit ihrem Freund zusammen. Aus beruflichen Gründen führen die beiden seit einem Jahr eine Fernbeziehung. Sie liebt ihren Partner und möchte ihn auf keinen Fall verlieren. Und doch hat sie ihn in den vergangenen Monaten mehrmals betrogen. Er ist ja weit weg und bekommt es nicht mit. Da fühlt sich der Seitensprung nicht so schlimm an. Eines Abends fragt sie ihr Partner: »Bist du mir treu?« Was soll sie tun: Lügen? Die Wahrheit sagen? »Da war mal was«, fängt sie an. In diesem Moment sieht sie, wie etwas im Gesicht des anderen stirbt. Erst jetzt spürt sie den Verrat an ihrer Liebe, den sie begangen hat.
Über sich selbst erschrecken. Das kommt in der Bibel noch vor jeder Schuld. Man erkennt, was man getan hat, und schämt sich. Nicht nur mit einem flüchtigen Erröten. Die Scham geht durch Mark und Bein. »Wie stehe ich jetzt vor dem anderen da? Auf einmal sehe ich – und der andere auch –, wie ich bin und nicht sein will.«

Falsch gehandelt. Menschen verletzt. Und nun?

»Scham«, schreibt der Theologe Kristian Fechtner, »bezieht sich nicht (...) auf etwas, was jemand getan oder unterlassen hat, sie gilt vielmehr der ganzen Person«. Am liebsten würde man sich verstecken wie einst Adam und Eva, nachdem sie erkannt haben, dass sie nackt und bloß vor Gott stehen. »Das bin doch nicht ich, das entspricht mir gar nicht – und trotzdem habe ich es getan. Ich kann es nicht ungeschehen machen.«

Man hat den anderen verletzt. Das ist nicht einfach mit einem »Entschuldigung« aus der Welt zu schaffen. Es ist ein Bruch entstanden. Die Erkenntnis geht tief und berührt nicht nur das Verhältnis zu dem anderen. »Wie sieht mich jetzt Gott mit diesem Abgrund, der sich in mir aufgetan hat?«

Buße kommt von Besserung

Buße ist »das Recht, ein anderer zu werden«, meint die Theologin Dorothee Sölle. Sie bewegt sich damit in dem Horizont der Hoffnung, den die Bibel beschreibt. Kein Mensch ist festgenagelt auf das, wie er ist und was er getan hat. Das deutsche Wort Buße kommt von Besserung. »Die ändert sich nicht mehr, der war schon immer so« – das sind keine biblischen Sätze über einen Menschen.

Die Möglichkeit, umzukehren

»Tut Buße, denn das Himmelreich ist nahe herbeigekommen!« (Matthäus 4,17) So fängt Jesus an zu predigen. Er verheißt: Menschen dürfen an die Möglichkeit glauben, dass sie sich ändern, mehr noch bessern können. Buße im Hebräischen des Alten Testaments bedeutet »umkehren«. Das griechische Wort für Buße im Neuen Testament heißt »umdenken«. Buße hat eine Außen- und eine Innenseite. Es beschreibt eine körperliche Bewegung und einen inneren Prozess. In der klassischen Lehre der Kirche geht das in einem Dreischritt.

1. Reue: Sich der Wahrheit stellen

Buße beginnt mit der »contritio cordis«, mit der Reue aus tiefem Herzen. Wer aufrichtig bereut, kehrt nicht schnell unter dem Teppich, was sie oder er angerichtet hat. Schuldbewusstsein ist ein Zeichen für Menschenwürde. Ich weiß mich für mein Handeln verantwortlich. Ich belüge nicht länger mich und die anderen. Kein Beschönigen und Wegverweisen der Schuld nach dem Motto »Das machen doch alle so«. Es geht nicht um die anderen. Ich stelle mich der Wahrheit über mich selbst. Dazu gehört Mut.

2. Die Schuld einem anderen Menschen eingestehen

Der zweite Schritt der Buße ist die »confessio oris«, das Bekenntnis der Schuld vor den Ohren eines anderen. Zunächst im geschützten Raum vor mir selbst und vor Gott. Wo nötig, auch vor anderen, denen ich Erklärung schuldig bin.
Es kann ein unglaublicher Kraftakt sein, einem anderen gegenüber Wort für Wort laut auszusprechen, was man auf dem Kerbholz hat, was einen plagt und umtreibt oder »betrübt und ängstigt«, wie Luther sagt. Aber was zunächst gewaltig zehrt oder einem schier unsagbar peinlich ist, das kann – endlich, endlich ausgesprochen – dann wieder ungeheure Lebenskraft freisetzen.

3. Freisprechen von der Schuld

Schließlich der dritte Schritt, die »absolutio«, das Freisprechen von der Schuld und der Zuspruch, dass Gott mir über meine Brüche und Abgründe hinweg gnädig ist. Martin Luther schreibt: »Ein christlicher Prediger kann nimmer das Maul auftun, er muss die Absolution zusprechen.« Und: »Die Pforte der Absolution (...) soll dem armen Sünder niemals verschlossen sein; er falle so tief er immer wolle.«
Was wir aufzuarbeiten haben an Defiziten in der eigenen Lebensgeschichte, womit immer wir in der Gegenwart zu kämpfen haben – die Gewissheit, Lasten abladen und von Neuem beginnen zu dürfen, ist eine Basis, auf der zuversichtliches Leben möglich ist.

Manches lässt sich  ausräumen und bessern. Es gibt aber auch Schuld, die nicht ungeschehen oder wiedergutzumachen ist. Mit dem Mut zur Buße gibt ein Mensch in jedem Fall  der Wahrheit die Ehre - und kann sich wieder im Spiegel anschauen.

[Pfarrer Martin Vorländer]

Diese Seite:Download PDFDrucken

Gut:
Das heißt für mich -
frei und befreit von allem,
was ich aus Angst und Ärger tief
in mir vergraben habe.

to top